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OR 270, OR 269a lit. a
ZMP 2020 Nr. 5: Anfangsmietzinsanfechtung bei Verwendung des amtlichen Formulars. Missbrauchsvermutung. Tragweite. Gerichtliche Mietzinsfestsetzung bei Unmöglichkeit der Ermittlung einer orts- und quartierüblichen Vergleichsmiete.
26.08.2019
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MA170003-L
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Bezirksgericht Zürich
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Mietgericht
Details
Hinsichtlich der Anfechtungsvoraussetzung nach Art. 270 Abs. 1 lit. b OR liegt eine erhebliche Mietzinserhöhung im Falle einer Steigerung des Mietzinses gegenüber dem Vormietverhältnis um mindestens 10 % vor. Entgegen den Vorinstanzen und den Andeutungen in neueren Bundesgerichtsurteilen indiziert dies jedoch nicht auch bereits eine Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses, von welcher erst bei einer deutlich über 10 % liegenden Anpassung ausgegangen werden darf (BGE, E. 3.3.2). Bei einer Anhebung des Nettomietzinses um 44 % liegt bei sonst stabilem Umfeld grundsätzlich ein Missbrauchsverdacht vor. Dass der Vermieter in solchen Fällen zur Beweisführung bezüglich der fehlenden Missbräuchlichkeit gehalten ist, beruht nicht auf einer Beweislastumkehr (so OG, E. 5) und auch nicht nur auf einer verstärkten Mitwirkungsobliegenheit, sondern auf einer natürlichen Missbrauchsvermutung (BGE, E. 3.3.1 und 4.1; MG, E. IV.3.2; OG, E. 5.8). Allerdings ist es möglich, dass der Vermieter an der Vermutung mittels gegenteiliger Indizien Zweifel weckt und diese so umstösst (MG, E. IV.3.2; OG, E. 5.8; BGE, E. 3.4, 3.5 und 4.3). Hilfskriterien können etwa Vergleiche mit Statistiken sein, auch wenn diese nicht alle Kriterien von Art. 11 Abs. 4 VMWG erfüllen (MG, E. IV.3.2.2 a.E. sowie IV.3.2.4; BGE, E. 4.3.1). Daneben sind aber weitere Faktoren zu prüfen, so die lange Dauer des Vormietverhältnisses ohne umfassende Anpassung des Mietzinses, die richterliche Lebenserfahrung und Kenntnis des lokalen Marktes, eine zur Bestimmung der Vergleichsmiete an sich nicht genügende Anzahl von 3 oder 4 Vergleichsobjekten und allenfalls gar ein Privatgutachten (BGE E. 3.5, 4.3 und 4.5).
Bei der direkten Bestimmung der orts- und quartierüblichen Vergleichsmiete sind an die Qualität der von den Parteien offerierten Vergleichsobjekte nach wie vor hohe Anforderungen zu stellen, da ansonsten die Beschränkung auf fünf Objekte mangels statistischer Relevanz die Gefahr zufälliger Ergebnisse birgt (MG, E. IV.3.4; OG, E. 4.8; BGE, E. 4.5). Private Gutachten entbinden die Parteien nicht von der Substantiierungslast. Es genügt insbesondere nicht zu behaupten, ein Vergleichsobjekt weise „vergleichbare“ Eigenschaften auf wie das Mietobjekt, ohne diese Eigenschaften konkret zu umschreiben. Es entspricht nicht der Funktion des Beweisverfahrens, eine unvollständige Substantiierung zu beheben (MG, E. IV.3.3.2; OG, E. 8.3.3.2-6). Das Kriterium der vergleichbaren Lage kann grundsätzlich auch aufgrund der amtlichen Daten eines Geo-Informationssystems (GIS-Browser), kombiniert mit Erfahrungssätzen der Wissenschaft beurteilt werden, insbesondere was die Strassenlärm- Exposition eines Objekts betrifft (MG, E. IV.3.8.2 + 3.8.4 ff.; OG, E. 8.3, 8.4.3 und 8.4.4). Einzubeziehen sind auch die Grenzwerte der Lärmschutzverordnung (MG, E. IV.3.8.3; OG, E. 8.2.2). Für den Quartierbegriff ist in Zürich auf die 22 historischen Stadtquartiere abzustellen (MG, E. IV.3.7; OG, E. 7.3 - 7.10).
Kommt es mangels Nachweises einer bestimmten Vergleichsmiete zu einer gerichtlichen Mietpreisfestsetzung, steht dem Gericht eine breite Palette von Kriterien zur Verfügung, so u.a. der Rückgriff auf den zuletzt gültigen Mietzins des Vormietverhältnisses, aber auch auf amtliche Statistiken. Solche Statistiken können anders als bei der Bestimmung der Vergleichsmiete auch dann herangezogen werden, wenn sie die Vergleichskriterien von Art. 269a lit. a OR und Art. 11 VMWG nicht vollständig abbilden. Ältere Statistiken sind aufgrund von Indizes den aktuellen Verhältnissen anzupassen (MG, E. IV.3.14; OG, E. 9).
Bezirksgericht Zürich
Mietgericht
Urteil
26.08.2019
MA170003-L
OR 270
OR 269a lit. a
ZMP 2021 Nr. 11 (Fortsetzung des Falles)
Zitiervorschlag:
OGer ZH XX110001 vom 01.01.2011