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OR 271 Abs. 1, OR 271a Abs. 1 lit. b, OR 269, VMWG 10, VMWG 18, ZPO 59 Abs. 2 lit. a, ZGB 1
ZMP 2022 Nr. 3: Kündigungsschutz. Änderung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Ertragsoptimierungskündigung(?). Tragweite der relativen Methode bei einer parallel zur Kündigung ausgesprochenen Mietzinserhöhung wegen ungenügenden Ertrags. Rechtsschutzinteresse der nicht mehr in der Mietwohnung lebenden Mitmieterin. Offensichtlich übersetzter Kaufpreis. Statistische Methode.
22.08.2022
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MJ210065-L
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Bezirksgericht Zürich
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Mietgericht
Details
Zwar ist es auch erstinstanzlichen Gerichten nicht verwehrt, eine Praxisänderung aufzugleisen. Die beteiligten Gerichtspersonen haben dabei aber eine andere Rolle als im Rahmen wissenschaftlicher Beiträge. Was «bewährte Überlieferung» ist und was nicht, hat schon aufgrund der schweizerischen Justizverfassung in erster Linie das Bundesgericht zu entscheiden (MG E. 3).
In einzelnen Entscheiden hat das Bundesgericht Mitmietern, die nicht mehr in der Mietwohnung leben, das Rechtsschutzinteresse an der Beteiligung an einer Kündi-gungsschutzklage abgesprochen. Ein Mietvertrag verpflichtet die Mieter indessen nicht, die gemietete Sache persönlich zu benutzen. Einer von mehreren Mitmietern ist so oder anders vom Kündigungsschutzverfahren betroffen, denn vom Ausgang des Verfahrens hängt auch ab, wie lange seine Mitverpflichtung aus dem Mietvertrag noch dauert. So oder anders ist ihm zu ermöglichen, durch Beteiligung am Ver-fahren seine rechtlich geschützten Interessen zu wahren. Es ist ihm zu überlassen, ob er sich aktiv an der Klage der übrigen Mieter beteiligen, ob er sich von diesen passiv ins Recht fassen lassen oder ob er sich durch eine vorbehaltlose Unterziehungserklärung vom Prozess fernhalten will (MG E. 4.2).
Das Bundesgericht erachtet in ständiger, seit 1994 verfolgter Rechtsprechung eine Kündigung des Vermieters zur Erzielung eines höheren Ertrags durch Vermietung an einen Dritten als zulässig. Einzige Einschränkung ist, dass der Ertrag nach absoluter Methode berechnet bei einer Drittvermietung tatsächlich nicht nur unerheblich verbessert werden kann. Zwar ist dieser Rechtsprechung Kritik erwachsen und hat das Bundesgericht in neuester Zeit angetönt, sich damit auseinandersetzen zu wollen. Darin liegt aber noch keine Ankündigung einer Praxisänderung.
Wollte man die Rechtsprechung zur Ertragsoptimierungskündigung auf eine neue Grundlage stellen, müsste auch eine Harmonisierung von Kündigungsschutz und Mietzinsanfechtung angestrebt werden. Insbesondere wären Anpassungen nach absoluter Methode generell innert viel kürzerer Dauer zuzulassen als nach geltender Rechtsprechung zur sog. relativen Methode, damit dem Gedanken der Kündigungsfreiheit auch im Bereich des Mietzinses Rechnung getragen würde. Zudem müsste mit einer Forcierung der statistischen Mietzinsbestimmung dafür gesorgt werden, dass übersetzte Kaufpreise tatsächlich kontrolliert und tiefe Altmieten in vernünftigem Masse angehoben werden können. Nur dann liesse es sich rechtfertigen, Ertragsoptimierungskündigungen mangels eines legalen Nutzens generell für missbräuchlich zu erklären. Dafür dass das Bundesgericht solche weitreichenden Schritte plant, gibt es derzeit keine Hinweise (MG E. 5.1, insbes. 5.1.4).
Im konkreten Fall spielt es daher keine Rolle, dass der Mietzins schon von den früheren Eigentümern im Einvernehmen mit den Mieterinnen erheblich angehoben wurde und dass die neue Eigentümerin kurz vor der angefochtenen Kündigung eine vorbehaltlose Mietzinserhöhung ausgesprochen hat. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist jene nicht treuwidrig, denn gestützt auf den Kaufpreis ist eine Erhöhung nach absoluter Methode zulässig, und nicht einmal bei Überprüfung des Kaufpreises nach der statistischen Methode kann hier gesagt werden, dass ein nicht offensichtlich übersetzter Preis keine Mietzinserhöhung nach absoluter Methode erlauben würde (MG E. 5.2).
Anderer Auffassung ist das Obergericht: Kurze Zeit nach einer vorbehaltlosen Mietzinserhöhung eine Kündigung auszusprechen, um durch Vermietung an eine Drittperson einen höheren Ertrag zu erzielen, erweist sich im konkreten Mietverhältnis als widersprüchliches Verhalten, denn mit der Mitteilung der Erhöhung bringt die Vermieterin zum Ausdruck, dass sie einen genügenden Ertrag erzielt. Mit der Anpassungsmöglichkeit unmittelbar nach dem Erwerb sind die berechtigten Anliegen der Vermieterin gewahrt, denn wenn diese ihr Ziel einer Mietzinserhöhung auch im bestehenden Vertragsverhältnis erreichen kann, so fehlt es ihr offenkundig an einem legitimen Interesse zur Kündigung; es läge ein krasses Interessenmissverhältnis vor und die Ausübung des Kündigungsrechts wäre ein Akt schonungsloser – weil unnötiger – Rechtsausübung. Verzichtet sie aber mangels Vorbehalt auf eine weitergehende Anpassung, muss sie sich als Folge von Treu und Glauben auch beim erweckten Vertrauen der Mieterinnen bezüglich des genügenden Ertrags behaften lassen und kann nicht kurz darauf mit der Begründung kündigen, der Ertrag sei nun doch unzureichend. Ob die Vermieterin bei der vorbehaltlosen Anpassung wusste, dass eine weitergehende Erhöhung möglich gewesen wäre, ist nicht von Belang, denn es wäre ihre Sache gewesen, sich rechtzeitig kundig zu machen, und das berechtigte Vertrauen der Mieterinnen erstreckt sich auch darauf, dass die Vermieterin dies getan hat (OG E. 5.5 - 5.10).
In einem obiter dictum regt die Zweitinstanz unter Berufung auf die Lehre generell eine Überprüfung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Ertragsoptimierungskündigung an: Zutreffend ist demnach zwar, dass die relative Methode gegenüber dem neuen Mieter, dem die Mietsache zu einem höheren Mietzins vermietet werden soll, nicht gilt. Unrichtig ist aber, dass im Verhältnis zum bisherigen Mieter eine Kündigung zulässig sein soll, denn gerade in diesem Verhältnis, in dem die Gültigkeit der Kündigung zu beurteilen ist, beansprucht die relative Methode Geltung. Das Obergericht erblickt in neueren Bundesgerichtsurteilen zumindest die Bereitschaft des höchsten Gerichts, die Frage neu zu prüfen, und lässt durchblicken, dass es bereit wäre, die vom Mietgericht für diesen Fall angeregte Lockerung der Rechtsprechung zur relativen Methode bei Mietzinsanpassungen bei Gelegenheit in Erwägung zu ziehen (OG E. 6.5 - 6.8).
Vor Bundesgericht hält die Vermieterin nicht mehr an der Gültigkeit der Kündigung fest, sondern beschränkt sich darauf, die Gültigkeit der parallel zur Kündigung angezeigten Mietzinserhöhung gestützt auf eine Ertragsberechnung geltend zu machen. Das Bundesgericht erklärt wie das Obergericht die Mietzinserhöhung für missbräuchlich, da die Vermieterin kurz nach dem Erwerb der Liegenschaft eine vorbehaltlose Mietzinserhöhung ausgesprochen hat, so dass sie sich als Folge der relativen Methode nur noch auf Veränderungen berufen kann, die nach dieser früheren Erhöhung eingetreten sind. Zudem hat die Vermieterin nicht mit hinreichender Deutlichkeit klargemacht, dass die Mietzinserhöhung nur für den Fall einer Ungültigerklärung der Kündigung gelten soll.
Bezirksgericht Zürich
Mietgericht
Urteil
22.08.2022
MJ210065-L
OR 271 Abs. 1
OR 271a Abs. 1 lit. b
OR 269
VMWG 10
VMWG 18
ZPO 59 Abs. 2 lit. a
ZGB 1
Zitiervorschlag:
OGer ZH XX110001 vom 01.01.2011