Kinderanhörung

Durch die Anhörung der Kinder und Jugendlichen soll dem Richter bzw. der Richterin ermöglicht werden, sich unmittelbar über die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes ein eigenes Bild zu machen. Die Anhörung hat einen doppelten Zweck: Sie ist Ausdruck des Respekts vor Kindern und Jugendlichen, die sich zur Trennung ihrer Eltern oder zu deren Scheidung schon eine eigene Meinung bilden können. Und sie hilft dem Gericht bei der Beurteilung der Situation der Kinder innerhalb der Familie. Gemäss Art. 298 ZPO erfolgt die Anhörung in allen eherechtlichen Verfahren. Das Recht auf Anhörung ergibt sich auch aus den staatsvertraglichen Pflichten der Schweiz, nämlich aus Art. 12 des Übereinkommens über die Rechte der Kinder vom 20. November 1989 (Kinderrechtekonvention, KRK, SR 0.107), für die Schweiz in Kraft getreten am 26. März 1997.

Die Anhörung stellt den Grundsatz, das Absehen davon die Ausnahme dar. Ein Verzicht ist einerseits bei kleinen Kindern nötig, andererseits aber auch, wenn andere wichtige Gründe gegen die Anhörung sprechen (Art. 12 KRK; Art. 298 Abs. 1 ZPO).

 

Beispiele:
Die Anhörung bedeutet eine erhebliche Belastung für das Kind.
Das Kind kann die Beziehung zu einem Elternteil gar nicht beurteilen, weil es zu diesem bislang keinen Kontakt hatte (BGE 124 III 90).

 

Ob im konkreten Fall eine Anhörung stattfindet, entscheidet das Gericht aufgrund der Umstände und des Gesprächs mit den Eltern. Nach Meinung des Bundesgerichts ist eine Anhörung ab dem sechsten Altersjahr eines Kindes grundsätzlich möglich (BGE 131 III 553). Jüngere Kinder erfassen die Bedeutung des elterlichen Konfliktes meist noch nicht voll. Entsprechend ist für sie die Belastung durch eine Anhörung durch eine ihnen fremde Person grösser, besonders solange sich die Eltern über die Kinderbelange streiten. Umgekehrt ist es gerade in umstrittenen Fällen für eine angemessene Regelung der Beziehungen zu den Eltern wichtig, auch die Bedürfnisse kleinerer Kinder abzuklären. In Fällen, in denen für die Bewertung von Äusserungen der Kinder Fachwissen nötig ist, zieht das Gericht in umstrittenen Fällen oft Experten bei (siehe BGE 127 III 295). Selbstverständlich berücksichtigt es beim Entscheid auch, ob das betroffene Kind die Anhörung wünscht oder nicht.

Die Anhörung des Kindes bleibt vertraulich. Den Eltern wird aber normalerweise eine Zusammenfassung des Gesprächs bekannt gegeben. Auf Wunsch des Kindes können Teile des Gesprächsinhalts ausgeklammert werden. Kinder und Eltern sollten nicht zögern, mit der Richterin oder dem Richter über ihre Wünsche und Vorbehalte zu sprechen. Erfahrungsgemäss sind die getroffenen Vereinbarungen und Entscheide für alle Betroffenen besser, wenn sie auch die Sicht der Kinder beachten, zum Beispiel was die Vereinbarkeit von Besuchen und Hobbies angeht. In erster Linie sollten daher Eltern und Kinder miteinander über die Veränderungen sprechen, die sich aus einer Trennung oder Scheidung ergeben.

Kinder und Jugendliche finden weitere Informationen zur Anhörung in der Broschüre "Deine Meinung ist wichtig". Dank der freundlichen Genehmigung des Instituts für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg sind wir in der Lage, sie auf unserer Website in elektronischer Form anzubieten.